Unsere Recherchen zeigen: „Northern Lights“ macht aus Abgasen ein Milliardengeschäft

VonRainer Hofmann

August 5, 2025

(Lesezeit cirka 25 Minuten)

Die Vision am Ende der Welt

An der zerklüfteten Westküste Norwegens, wo die Fjorde tief ins Land schneiden und der Atlantik mit salziger Gischt gegen Felsen peitscht, entsteht ein Projekt, das für Europas Energiezukunft zum Wendepunkt werden könnte. Auf der Halbinsel Øygarden, nahe der Hafenstadt Bergen, ragen gigantische, beinahe skulpturale Tanks in den Himmel. Sie speichern Tausende Tonnen flüssiges Kohlendioxid – ein Projekt, das bislang fast völlig unbekannt ist und das wir in intensiver eigener Recherche umfassend dokumentieren konnten.

Øygarden

Hier, in der nordischen Einsamkeit zwischen Wind, Wasser und Felsen, bereitet Norwegen den Aufbau eines Geschäfts vor, das Europas Industrie revolutionieren könnte: den Transport und die dauerhafte Lagerung von CO₂. Unter dem Namen „Northern Lights“ entwickeln die Energiekonzerne Equinor, Shell und TotalEnergies gemeinsam mit der norwegischen Regierung eine Art Müllabfuhr für Industrieabgase. Das Prinzip klingt simpel und ist technisch komplex: CO₂, etwa aus Zement- oder Düngemittelfabriken, wird abgeschieden, verflüssigt und per Tankschiff nach Øygarden gebracht. Dort fließt es durch gewaltige Leitungen rund 70 Meilen hinaus auf die Nordsee, um in einem 2.600 Meter tiefen Reservoir aus porösem Gestein dauerhaft verpresst zu werden.

Die norwegische Regierung hat die zweite Phase des Northern-Lights-Projekts zur CO₂-Abscheidung genehmigt – ein Gemeinschaftsunternehmen von TotalEnergies, Equinor und Shell, das in Øygarden, Norwegen, entwickelt wird.

Die erste Phase des Projekts wurde im September 2024 offiziell eröffnet und ist bereit, ab Sommer 2025 jährlich 1,5 Millionen Tonnen CO₂ zu speichern. Im März 2025 verkündeten die Partner die Finanzierungszusage für Phase 2 – eine weitere Investition von 7,5 Milliarden norwegischen Kronen (etwa 700 Millionen US-Dollar), die bis 2028 die Kapazität auf mindestens 5 Millionen Tonnen jährlich erweitern wird. Bereits die erste Phase ist vollständig ausgebucht mit Kunden aus fünf verschiedenen Ländern – ein Zeichen dafür, dass die Nachfrage nach CO₂-Entsorgung den Erwartungen entspricht.

Das Geschäftsmodell der Klimawende – und seine harten Realitäten

Die Betreiber sehen darin nicht weniger als die wirtschaftliche Zukunft Europas im Klimazeitalter. Denn während Öl- und Gasgewinne langfristig sinken könnten, bietet der Handel mit CO₂-Entsorgung neue Perspektiven. Norwegen will seine geologische und industrielle Expertise nutzen, um zu einem Drehkreuz für CO₂-Speicherung zu werden. Die Regierung investiert gewaltig: Rund 34 Milliarden norwegische Kronen – umgerechnet 3,3 Milliarden Dollar – fließen in die Errichtung der Anlagen und in die ersten zehn Betriebsjahre. Diese Subventionen decken fast zwei Drittel der Kosten ab. Weitere 131 Millionen Euro kommen von der EU über das Connecting Europe Facility-Programm, die das Projekt als Blaupause für den Aufbau eines europäischen CCS-Markts – Carbon Capture and Storage – sieht.

Ein Industriezentrum mit großen Ambitionen. Das Projekt Longship in Øygarden wird CO₂ in 2.600 m Tiefe unter dem küstennaher Meeresboden speichern.

Für die Industrie, die unter hohen CO₂-Abgaben leidet, könnte Northern Lights zur Rettungslinie werden – allerdings zu einem Preis, der die Grenzen der Wirtschaftlichkeit aufzeigt. Der aktuelle CO₂-Preis in der EU liegt bei rund 70 Euro pro Tonne. Northern Lights jedoch verlangt je nach Kunde zwischen 107 und 207 Euro pro Tonne. Diese dramatische Preisspanne verdeutlicht die Komplexität der Technologie: Yara, der niederländische Düngemittelhersteller, profitiert von hochreinen CO₂-Strömen aus der Dampfreformierung von Methan und zahlt den niedrigsten Preis von 107 Euro pro Tonne. Für Norcem (Heidelberg Materials) und andere Zementhersteller liegen die Kosten bei 207 Euro pro Tonne – selbst unter optimalen Bedingungen mit Wasserlage und massiven staatlichen Subventionen ein Vielfaches der Marktpreise.

Die Kostenaufschlüsselung enthüllt die wirtschaftlichen Herausforderungen: Erfassungskosten reichen von 50 bis 150 Euro pro Tonne, abhängig von der Prozessreinheit und Technologie. Der Schiffstransport fügt weitere 30 Euro hinzu, die Sequestrierung weitere 30 Euro. Selbst für Yara mit den günstigsten Bedingungen – hochreine CO₂-Ströme, direkte Wasserlage, keine Durchquerung dichter Siedlungsgebiete – kostet die CO₂-Entsorgung über 100 Euro pro Tonne. Für alle anderen Anlagen in Europa, die nicht diese Erfolgsbedingungen haben, werden die Kosten exponentiell steigen.

Lösung bieten, um CO₂-Emissionen zu reduzieren

Nach unseren Recherchen werden derzeit Abnahmeverträge mit Zementwerken in Norwegen und den Niederlanden, mit dem schwedischen Energieversorger Stockholm Exergi für 900.000 Tonnen biogenes CO₂ jährlich über 15 Jahre, und mit dänischen Ökostromanlagen von Ørsted für 430.000 Tonnen jährlich verhandelt. Bereits jetzt transportieren die ersten Spezialtanker, gebaut in China und ausgestattet mit futuristischen Rotorsegeln zur Treibstoffersparnis, die klimaschädliche Fracht an die norwegische Küste.

Die unbequeme Wahrheit der Wissenschaft

Doch hinter der technischen Eleganz liegt eine ernüchternde wissenschaftliche Realität. Eine 2024 in der renommierten Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlichte Studie analysierte die Machbarkeit von CCS basierend auf historischen Trends und aktuellen Plänen. Das Ergebnis ist alarmierend: Nur 10% der 1,5°C-kompatiblen und 44% der 2°C-kompatiblen Klimapfade zeigen realistische CCS-Kapazitäten für 2040. Die meisten Klimamodelle, die auf CCS setzen, sind schlichtweg unrealistisch.

Noch drastischer ist die Erkenntnis des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC): Aufgrund finanzieller, vertraglicher und institutioneller Barrieren wird der globale Einsatz von CCS-Technologien bis 2050 unwahrscheinlich mehr als 5 Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr unterirdisch speichern können – weit weniger als die bis zu 10 Milliarden Tonnen, die viele Klimamodelle voraussetzen. Um diese Ziele zu erreichen, müsste jede Woche bis 2050 das Äquivalent der derzeit größten CCS-Anlage der Welt gebaut werden – ein technisch und wirtschaftlich unmögliches Unterfangen.

Die historische Bilanz ist noch ernüchternder: Trotz jahrzehntelanger Entwicklung und Milliarden von Dollar an Subventionen hat kein einziges CCS-Projekt weltweit seine angestrebte CO₂-Erfassungsrate erreicht. Obwohl die Industrie eine 95%ige Erfassungsrate für machbar hält, erreichen bestehende Projekte maximal 80% – und das sind die erfolgreichsten. Weltweit gibt es nur 30 kommerzielle CCS-Projekte, die insgesamt etwa 42,5 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr erfassen – weniger als 0,2% der notwendigen Emissionsreduktion, um die Emissionslücke bis 2030 zu schließen.

Das IPCC stuft CCS im Energiesektor als eine der teuersten und am wenigsten effektiven Minderungstechnologien ein. Kritische Analysen zeigen, dass CCS in einigen Fällen sogar mehr Emissionen produzieren kann, als es sequestriert, wenn man den gesamten Lebenszyklus betrachtet – ein Aspekt, den viele Studien bewusst ausblenden.

Øygarden
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Die Herstellung von emissionsarmem Zement – ein Kostenschock

Die Herstellung von emissionsarmem Zement etwa kostet ein Vielfaches des herkömmlichen Materials. Heidelberg Materials, das deutsche Unternehmen hinter dem Werk in Brevik, beziffert die Produktionskosten des sogenannten Evozero-Zements auf das Dreifache von Standardware – obwohl das Produkt chemisch identisch ist. Nur ein Aufpreis für klimafreundliche Baustoffe und politische Förderung können das Modell derzeit tragen. Trotz der 207 Euro pro Tonne Kosten für CCS und massiver Subventionen von Anfang bis Ende der CCS-Kette wird deutlich, dass es ohne staatliche Unterstützung kein wirtschaftliches Modell gibt.

Das geologische Fundament – Europas unterirdische Hoffnung

Wissenschaftliche Studien bestätigen jedoch ein enormes theoretisches Potenzial für CO₂-Speicherung unter der Nordsee. Eine umfassende Untersuchung von 441 potenziellen Feldern ergab eine Speicherkapazität von etwa 440 Milliarden Tonnen bei einer möglichen Injektionsrate von 22 Milliarden Tonnen pro Jahr. Das Vereinigte Königreich könnte über 30 Jahre hinweg mehr als 230 Milliarden Tonnen CO₂ speichern – das 20-fache seiner aktuellen Emissionen. Die Niederlande verfügen über ein Potenzial von 147 Milliarden Tonnen, während Dänemark aus 13 Öl- und Gasfeldern etwa 4 Milliarden Tonnen über drei Jahrzehnte speichern könnte.

Europäische Forschungsprojekte zeigen, dass die nordische Region 59% der gesamten kartierten europäischen Speicherkapazität von 358 Milliarden Tonnen ausmacht. Insgesamt könnten die 418 identifizierten Salzwasser-Aquifer-Speichereinheiten in Europa eine Gesamtspeicherkapazität von 482 Milliarden Tonnen erreichen – theoretisch genug, um über drei Jahrhunderte lang europäische Emissionen aufzunehmen.

Northern Lights, ein von der norwegischen Regierung gefördertes Projekt, setzt auf das Verfahren der CO₂-Abscheidung und -Speicherung, um stark emittierende Branchen wie Zement- und Düngemittelwerke von ihrem massiven Kohlendioxidausstoß zu entlasten.

In Deutschland haben Wissenschaftler 71 potenzielle Speicherstätten im deutschen Nordseesektor kartiert. Die geschätzte kumulative statische Speicherkapazität dieser Strukturen liegt zwischen 902 Millionen Tonnen (P10) und 5,5 Milliarden Tonnen (P90), mit einem mittleren Wert von 2,6 Milliarden Tonnen. Detaillierte Studien ergaben unterschiedliche Kapazitäten je nach geologischer Formation: 0,15 Milliarden Tonnen für den Mittleren Jura, 12,2 Milliarden Tonnen für den Mittleren Buntsandstein und 2,3 Milliarden Tonnen für das Obere Rotliegend.

Die norwegische Regierung sieht in der Kombination aus Ölindustrie-Erfahrung und geologischen Speichern ein Geschäftsmodell für die Zeit nach der fossilen Ära. Die Lagerkapazität unter dem norwegischen Meeresboden schätzen Experten auf bis zu 100 Milliarden Tonnen CO₂, davon 1,5 bis 8,3 Milliarden Tonnen allein im deutschen Sektor – genug für eine jährliche Speicherung von 20 bis 40 Millionen Tonnen CO₂, sobald der erforderliche rechtliche Rahmen geschaffen ist.

Übertragbarkeit: Ein europäisches Dilemma

Die Übertragbarkeit des Northern Lights-Modells auf andere Regionen ist differenziert zu betrachten. Eine umfassende Studie der Clean Air Task Force zeigt, dass die große Mehrheit der europäischen Länder gutes Potenzial für CO₂-Speicherung hat, wobei nur Estland, Finnland und Luxemburg über keine geeignete Geologie verfügen. Belgien, Österreich und Slowenien weisen sehr begrenzte Kapazitäten auf.

Doch die geologischen Voraussetzungen allein reichen nicht. Detaillierte Transportanalysen zeigen dramatische regionale Unterschiede: In einem Szenario mit prioritärer Nutzung heimischer Speicher bis 2050 würden 21% der Emissionen (64 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr) auf Speicherstätten in der Adria entfallen – was nur 23 bis 100 Jahren theoretischer Kapazität in Norditalien entspricht. Dies verdeutlicht, dass selbst in geologisch günstigen Regionen schnell Engpässe entstehen könnten.

Die Entwicklung zusätzlicher Exportstandorte reduziert die Transportentfernungen nicht wesentlich. Bis 2050 sollten landgestützte Netzwerke nach Rijeka (Kroatien) und in Ostdeutschland zum Rostocker Hub etabliert werden, um die Transportkosten für einzelne Emittenten durch die Nutzung von Skaleneffekten zu reduzieren. Für Emittenten in Süd-, Mittel- und Osteuropa würde der Transport ihres CO₂ bis zur Nordsee sie jedoch in einen erheblichen Wettbewerbsnachteil versetzen oder unerschwinglich teuer werden.

Umweltrisiken und Sicherheitsbedenken – die dunkle Seite der Technologie

Während die geologische Stabilität der norwegischen Speicherstätten als hoch eingeschätzt wird, bergen Transport und Speicherung von CO₂ erhebliche Risiken. Feldstudien unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel zeigen, dass jährliche Leckagen nur wenige Tonnen CO₂ betragen könnten. Diese Lecks treten tendenziell an alten Bohrlöchern auf und könnten mit geeigneter Zementierung verhindert werden. Im Vergleich zu den Gesamtmengen von etwa 100 Millionen Tonnen CO₂, die in eine Speicherstätte injiziert werden sollen, sind die möglichen Leckageraten von 1 bis 10 Tonnen pro Jahr vernachlässigbar – über 99% des gespeicherten CO₂ würden dauerhaft unterirdisch bleiben.

Dennoch zeigen reale Vorfälle die Gefahren des CO₂-Transports auf. Der Unfall von Satartia, Mississippi im Jahr 2020 verdeutlicht die Risiken: Ein CO₂-Pipeline-Bruch setzte eine dichte CO₂-Wolke frei, die stadtabwärts rollte und die Luft verdrängte. Autos blieben stehen, da die Motoren keinen Sauerstoff mehr bekamen. Menschen kollabierten, wo sie standen, und rangen nach Luft. 45 Personen mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Und das geschah in einem ländlichen Gebiet mit offenen Flächen und geringer Bevölkerungsdichte – die Einwohnerzahl von Satartia beträgt nur 46, und der Ort lag 1,6 Kilometer von der Pipeline entfernt.

Ørsted’s Avedøre-Anlage plant, etwa 215.000 Tonnen erfasstes CO₂ pro Jahr zu seinem Asnæs-Hub zu senden. Dieses Volumen entspricht etwa 590 Tonnen dichte Phase CO₂, die täglich durch eine spezielle Hochdruckpipeline fließt, die voraussichtlich zwischen 100 und 150 bar betrieben wird. Ein vollständiger Rohrbruch könnte Hunderte von Tonnen CO₂ schnell freisetzen und eine kalte, dichte Gaswolke erzeugen, die in Bodennähe verbleiben und Sauerstoff verdrängen könnte. Solche Vorfälle werfen ernste Fragen zur Sicherheit in dicht besiedelten europäischen Gebieten auf.

Der Transport und die Speicherung von Kohlendioxid erfordern ein massives Netzwerk gefährlicher Pipelines, die mit unterirdischen Injektionsstätten verbunden sind. Pipelines können undicht werden oder reißen; komprimiertes CO₂ ist bei Freisetzung hochgefährlich und kann zur Erstickung von Menschen und Tieren führen. Die unterirdische Speicherung birgt zusätzliche Risiken wie potenzielle Leckagen, Kontamination des Trinkwassers und die Stimulation seismischer Aktivitäten.

Da CCS-Anlagen etwa 15-25% mehr Energie benötigen, je nach eingesetzter Technologie, müssen Anlagen mit CCS mehr Brennstoff verbrauchen als herkömmliche Anlagen. Dies kann zu erhöhten „direkten Emissionen“ an Standorten führen, an denen CCS installiert ist, und zu erhöhten „indirekten Emissionen“ durch die Gewinnung und den Transport des zusätzlichen Brennstoffs. CCS kann daher zu einem Nettoanstieg der Luftverschmutzung führen, obwohl Verschmutzungskontrollausrüstung dies mindern kann – jedoch kann keine Ausrüstung alle Schadstoffe eliminieren.

Studien, die sowohl vor- als auch nachgelagerte Auswirkungen berücksichtigen, zeigen, dass die Hinzufügung von CCS zu Kraftwerken die negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit insgesamt erhöht. Flüssige Aminlösungen, die in vielen CCS-Systemen zur CO₂-Erfassung verwendet werden, können als Luftschadstoffe freigesetzt werden, wenn sie nicht angemessen kontrolliert werden. Unter den bedenklichen Chemikalien sind flüchtige Nitrosamine und Nitramine, die beim Einatmen oder Trinken in Wasser krebserregend sind.

Sozioökonomische Gerechtigkeit – wer trägt die Lasten?

Die Entwicklung von CCS-Infrastruktur bringt neue Belastungen für bereits benachteiligte Gemeinden mit sich. Die US-Golfküste, einschließlich des als „Cancer Alley“ bekannten petrochemischen Korridors in Louisiana, die nördlichen Ebenen und das kalifornische Central Valley sowie die Provinzen Alberta und Saskatchewan in Kanada gehören zu den Gebieten, die für die CCS-Entwicklung ins Visier genommen werden. Ein solcher Ausbau würde neuen Verschmutzungs- und Sicherheitsgefahren für schwarze, braune und indigene Gemeinden auferlegen, die bereits die unverhältnismäßigen und tödlichen Auswirkungen von Umweltrassismus erleiden.

CCS-Anlagen werden voraussichtlich neue Wasserbelastungen verursachen, da zusätzliche Wassermengen für chemische und physikalische Prozesse zur CO₂-Abscheidung und -Trennung benötigt werden. Die parasitären Lasten, die durch die Kohlenstoffabscheidung den Kraftwerken auferlegt werden, verringern deren Effizienz und erfordern daher mehr Wasser zur Kühlung der Anlage. Die Grundwasserkontamination durch CO₂-Leckagen während der geologischen Sequestrierung ist ein zusätzliches Problem bei der Anpassung von CCS in Kraftwerken.

Umweltgerechtigkeitsgruppen sind oft besorgt, dass CCS als Mittel eingesetzt wird, um die Lebensdauer einer Anlage zu verlängern und die lokalen Schäden, die sie verursacht, fortzusetzen. Oft würden gemeinschaftsbasierte Organisationen es vorziehen, dass eine Anlage geschlossen wird und Investitionen stattdessen auf sauberere Produktionsprozesse wie erneuerbare Energien konzentriert werden.

Die politische Architektur einer neuen Industrie

In Europa stehen derzeit über 45 kommerzielle Abscheidungsanlagen in Betrieb mit einer jährlichen Gesamtabscheidungskapazität von mehr als 50 Millionen Tonnen CO₂. Die Europäische Union hat rund 1,5 Milliarden US-Dollar für CCUS-Projekte im Rahmen der neuesten Innovationsfonds-Runde bereitgestellt und über 500 Millionen US-Dollar für CO₂-Transport- und Speicherprojekte im Rahmen ihres Connecting Europe Facility-Programms. Weitere bemerkenswerte Finanzierungen für CCUS-Projekte gab es in den Niederlanden (7,3 Milliarden US-Dollar) und Dänemark (1,2 Milliarden US-Dollar).

Japan ist schnell dabei, seine CCUS-Bemühungen voranzutreiben, mit der Auswahl von sieben großen Projekten zur Abscheidung und Speicherung von etwa 13 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr bis 2030. Länder etablieren grenzüberschreitende Vereinbarungen: Dänemark, Belgien, die Niederlande und Schweden haben jeweils im April 2024 eine Vereinbarung über den grenzüberschreitenden Transport von CO₂ mit Norwegen geschlossen, die den Transport und die Speicherung von CO₂ zwischen den Ländern ermöglicht.

Mehrere Länder haben derzeit faktische Verbote für CO₂-Speicherung oder unvollständige regulatorische Rahmen, die die Speicherentwicklung herausfordernd oder unmöglich machen. Speicherstätten werden auch in Gebieten ohne klare Strategie zur Förderung und Koordinierung von CO₂-Abscheidungsanlagen und Transportnetzwerken Schwierigkeiten haben.

Dieses Projekt ist Teil der Longship-Initiative Norwegens, die weltweit als führend in der industriellen CCUS-Wertschöpfungskette anerkannt ist

Northern Lights im globalen Kontext – eine Anomalie oder ein Modell?

Northern Lights steht damit an der Spitze einer neuen Industrie, die jedoch massive staatliche Unterstützung benötigt. Fast alle heute betriebenen CCS-Projekte haben von staatlicher finanzieller Unterstützung profitiert, hauptsächlich in Form von Kapitalzuschüssen und – in geringerem Maße – Betriebssubventionen. Ohne staatlich unterstützte norwegische Projekte und großzügige EU-Kofinanzierung für Stockholm Exergi und Ørsted ist unklar, ob Phase 1 den finanziellen Abschluss erreicht hätte. Die Ökonomie von CCS bleibt fein ausbalanciert.

Das IPCC erkennt an, dass CCUS vor „technologischen, wirtschaftlichen, institutionellen, ökologisch-ökologischen und soziokulturellen Barrieren“ steht, sodass die aktuellen CCUS-Einsatzraten weit unter denen in den meisten Szenarien liegen, die die globale Erwärmung auf 1,5 oder 2 Grad Celsius begrenzen. IPCC-Szenarien zeigen eine breite Palette möglicher CCS-Implementierungen: Bis 2030 könnte CCUS, angewandt auf fossile Brennstoffe, die CO₂-Emissionen um 0-5 Milliarden Tonnen reduzieren, mit einem Median von 1 Milliarde Tonnen. Bis 2050 liegt diese Spanne bei 0-13 Milliarden Tonnen mit einem Median von 2-3 Milliarden Tonnen – das bedeutet, dass bis 2050 etwa 6% der für Netto-Null benötigten Minderung von CCUS kommen könnte.

Technologische Innovation im Schatten der Zweifel

Trotz aller Kritik zeigt Northern Lights beeindruckende technologische Innovationen. Die speziell entwickelten CO₂-Transportschiffe mit Rotorsegeln, die 100 Kilometer lange unterirdische Pipeline-Infrastruktur und die präzise geologische Charakterisierung des Johansen-Speicherreservoirs setzen neue Standards für die Industrie. Northern Lights hat eine Vereinbarung mit NORSAR über eine kostengünstige Lösung zur Überwachung der CO₂-Speicherung mit in Norwegen entwickelter Technologie getroffen. Diese Überwachung soll Behörden und Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Speicherstätte ihre Integrität während der gesamten Injektions- und Langzeitspeicherphase aufrechterhält. Equinor hat bereits Ambitionen geäußert, weitere Speicherlizenzen in der Nordsee zu entwickeln, um eine gemeinsame, pipeline-basierte Infrastruktur aufzubauen, die zu erheblichen Kostensenkungen für CCS-Wertschöpfungsketten beitragen kann. Das Unternehmen strebt an, bis 2035 25% des europäischen Marktes als vertrauenswerter Partner bei der Dekarbonisierung von Industrie und Energie zu erobern.

Ein kritischer Aspekt, der oft übersehen wird, ist die zeitliche Diskrepanz zwischen regulatorischen Anforderungen und der tatsächlichen Persistenz von CO₂. Die aktuellen US-Bundesvorschriften verlangen beispielsweise nur eine Speicherung von CO₂ für 50 Jahre, um sich für Subventionen zu qualifizieren. Aber CO₂ verweilt in der Atmosphäre und Umwelt auf geologischer Zeitskala – für Hunderte oder sogar Tausende von Jahren. Die Betrachtung von CO₂, das unterirdisch injiziert oder bei der Herstellung von Kunststoffen, Zement oder anderen Gütern verwendet wird, als dauerhaft sicher enthalten zu betrachten, ist bestenfalls unverantwortlich.

Diese Diskrepanz zwischen regulatorischen Anforderungen und der tatsächlichen Langzeitverantwortung wirft fundamentale Fragen zur Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen auf. Wer wird in 100 oder 200 Jahren für eventuelle Leckagen oder Umweltschäden verantwortlich sein?

Die Paradoxie der „schwer vermeidbaren“ Emissionen

Northern Lights positioniert sich als Lösung für „schwer vermeidbare“ Emissionen aus der Zement-, Stahl- und Chemieindustrie. Doch die Definition dessen, was „schwer vermeidbar“ ist, verschiebt sich mit technologischen Fortschritten. Unternehmen wie Sublime Systems entwickeln elektrochemische Ansätze zur Zementherstellung, die einen 10 bar kalten CO₂-Strom aus der Umwandlung von Kalkstein in Branntkalk erzeugen – was die Erfassung noch einfacher und günstiger macht. Die Ironie ist, dass diese technologischen Durchbrüche CCS möglicherweise überflüssig machen könnten, bevor es sich als wirtschaftlich viable Lösung etabliert hat. Investitionen in CCS-Infrastruktur könnten sich als Sackgasse erweisen, wenn direktere Dekarbonisierungsansätze schneller und kostengünstiger werden.

Wirtschaftliche Realitäten jenseits der Subventionen

Die Analyse der Kostenstruktur der fünf Phase-1-Kunden von Northern Lights offenbart die fundamentalen wirtschaftlichen Herausforderungen von CCS. Yara repräsentiert buchstäblich den bestmöglichen Fall für CCS: Seine Prozessemissionen aus der Dampfreformierung von Methan sind sehr rein, was die Erfassung so günstig wie möglich macht. Das Unternehmen liegt direkt am Wasser, sodass sein CO₂ keine dicht besiedelten Gebiete durchqueren muss – etwas, das wahrscheinlich alle CO₂-Pipelines zum Stillstand bringen wird. Das End-to-End-System ist stark subventioniert. Dennoch kostet es immer noch über 100 Euro pro Tonne für die Abfallentsorgung. Die Versandkomponente fügt bereits erhebliche Kosten pro Tonne hinzu, aber Offshore-Standorte, die weiter entfernt sind, werden erheblich höhere Kosten pro Tonne für die Sequestrierung verursachen. Das Johansen-Formation ist relativ nahe zur Küste und vergleichsweise flach – 100 Kilometer Pipelines unter Wasser und dann zwei Kilometer nach unten waren nicht im Entferntesten billig, aber dies ist etwa so billig, wie Offshore-Sequestrierungsstandorte werden. Der Kairos@C-Projekt ist darauf ausgelegt, 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr aus mehreren Industrieanlagen im Hafen von Antwerpen zu erfassen. Obwohl technisch ausgereift und teilweise von der EU-Innovationsfonds finanziert, erkundet das Konsortium, zu dem BASF, Air Liquide und TotalEnergies gehören, nun heimische Speicheroptionen. Sie nennen das Potenzial erschöpfter Gasfelder in der Nordsee näher zu Belgien als Alternative zum Transport von CO₂ nach Norwegen. Diese Verschiebung oder dieser Rückzug entfernt einen großvolumigen Kunden aus Northern Lights‘ frühem Portfolio.

Die Grenzen globaler Skalierung

Von einem rein wirtschaftlichen Standpunkt aus macht CCS keinen Sinn. Ökonomen und Energieanalysten stellen fest, dass CCS-Projekte „unerschwinglich teuer im Vergleich zu anderen Optionen zur Minderung von Treibhausgasemissionen sind, wie erneuerbare Energien und Energiespeichertechnologien.“ Das Hinzufügen von CCS zu einem fossil befeuerten Kraftwerk macht den Betrieb der zugrunde liegenden Quelle unweigerlich teurer. Die Implementierung von CCS beinhaltet mehrere Technologien, die hochgradig auf jeden Standort zugeschnitten sind, was die Fähigkeit der Industrie begrenzt, Kosten durch Learning-by-Doing zu reduzieren. CCS-Implementierungen können nur mit großen, stationären Emissionsquellen verwendet werden und können daher nicht die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Fahrzeugen und Haushalten reduzieren.

Die Internationale Energieagentur beschreibt „übermäßige Erwartungen und Abhängigkeit“ von CCS und direkter Luftabscheidung als ein häufiges Missverständnis. Um die im Pariser Abkommen festgelegten Ziele zu erreichen, muss CCS von einem steilen Rückgang der Produktion und Nutzung fossiler Brennstoffe begleitet werden. Die Öffentlichkeit hat im Allgemeinen ein geringes Bewusstsein für CCS. Die öffentliche Unterstützung unter denen, die sich der CCS bewusst sind, war tendenziell gering, insbesondere im Vergleich zur öffentlichen Unterstützung für andere Emissionsreduktionsoptionen. Ein häufiges Anliegen der Öffentlichkeit ist Transparenz, z.B. in Bezug auf Fragen wie Sicherheit, Kosten und Auswirkungen. Ein weiterer Faktor für die Akzeptanz ist, ob Unsicherheiten anerkannt werden, einschließlich Unsicherheiten über potenziell negative Auswirkungen auf die natürliche Umwelt und die öffentliche Gesundheit. Forschung zeigt, dass eine umfassende Einbindung von Gemeinden die Wahrscheinlichkeit des Projekterfolgs im Vergleich zu Projekten erhöht, die die Öffentlichkeit nicht einbeziehen. Der Bau von Pipelines beinhaltet oft die Einrichtung von Arbeitslagern in abgelegenen Gebieten. In Kanada und den Vereinigten Staaten wird der Bau von Öl- und Gaspipelines in abgelegenen Gemeinden mit sozialen Schäden in Verbindung gebracht, einschließlich sexueller Gewalt, und diese Geschichte hat einige indigene Gemeinden dazu veranlasst, dem Bau von CO₂-Pipelines zu widersprechen.

Die europäische CCS-Landschaft im Wandel

Trotz der Herausforderungen hat sich in Europa eine beachtliche CCS-Pipeline entwickelt. Deutschland machte seine Rückkehr zu CCUS mit der Veröffentlichung seiner Kohlenstoffmanagement-Strategie, die CCUS als entscheidend für das Erreichen der Kohlenstoffneutralitätsziele des Landes bis 2045 identifiziert. Das erste niederländische Transport- und Speicherprojekt Porthos erreichte eine finale Investitionsentscheidung für den Beginn der Injektion von 2,5 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr in Offshore-Gasfelder im Jahr 2027. In den Niederlanden vergab das SDE++-System über 7,3 Milliarden US-Dollar an CCS-Projekte, die sich an das massive Aramis CO₂-Transport- und Speichernetzwerk anschließen werden. In Dänemark erhielt Ørsted 1,2 Milliarden US-Dollar aus dem CCUS-Fonds für sein Capture-Retrofit-Projekt am Kraftwerk Asnæs. Dennoch zeigen Projektabsagen die Fragilität des Marktes auf. Von 149 CCS-Projekten, die bis 2020 weltweit CO₂ speichern sollten, wurde die Mehrheit entweder abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben – hauptsächlich aufgrund unglaublich hoher Kosten und technologischer Herausforderungen.

Ein oft übersehener Aspekt von CCS sind die erheblichen Auswirkungen auf Wasserressourcen. CCS-Anlagen benötigen etwa 15-25% mehr Energie, je nach verwendeter Technologie, was bedeutet, dass Anlagen mit CCS mehr Brennstoff als herkömmliche Anlagen benötigen. Dies führt nicht nur zu höheren direkten Emissionen, sondern auch zu einem erhöhten Wasserbedarf für Kühlprozesse. Zusätzlich erfordern die chemischen und physikalischen Prozesse zur CO₂-Abscheidung und -Trennung zusätzliche Wassermengen. In wasserarmen Regionen könnte dies zu Konflikten zwischen Energieproduktion und anderen Wassernutzungen führen. Die Grundwasserkontamination durch CO₂-Leckagen während der geologischen Sequestrierung stellt ein zusätzliches Risiko für Süßwasserressourcen dar. Northern Lights hat fortschrittliche Überwachungssysteme implementiert, aber die Langzeitverantwortung bleibt ungeklärt. Kommerzielle CO₂-Speicherung ist ein neuer Geschäftsbereich mit immensem Potenzial, aber es ist entscheidend, Vertrauen vom ersten Tag an aufzubauen. Die Überwachung soll Behörden und die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Speicherstätte ihre Integrität während der gesamten Injektions- und Langzeitspeicherphasen aufrechterhält. Doch was passiert nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten? Wer wird für die Überwachung verantwortlich sein, wenn die betreibenden Unternehmen nicht mehr existieren? Diese Fragen sind nicht nur theoretisch – sie betreffen die Grundlagen der intergenerationalen Gerechtigkeit und nachhaltigen Entwicklung.

Das IPCC’s Sechster Bewertungsbericht, der über 200 Minderungsszenarien untersuchte, die die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen könnten, fand, dass es keine Szenarien gibt, in denen CCUS die fortgesetzte Nutzung fossiler Brennstoffe auf aktuellen Ebenen ermöglichen würde, geschweige denn eine erweiterte Öl- und Gasproduktion. In der Energiewende gibt es überzeugende Belege dafür, dass die negativen Klima-, Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen der Hinzufügung von Kohlenstoffabscheidung zu fossilen Brennstoffen erheblich größer sind als der einfache Ersatz fossiler Brennstoffe durch saubere Alternativen. Der Versuch, diese bald veralteten Kraftwerke mit CCS zu „retten“, ist wirtschaftlich genauso schlecht begründet wie umweltschädlich.

Globale Perspektiven und Gerechtigkeit

Während Europa und Nordamerika Milliarden in CCS investieren, haben Entwicklungsländer oft keinen Zugang zu diesen teuren Technologien. Dies könnte zu einer neuen Form der Klimaungerechtigkeit führen, bei der reiche Länder weiterhin fossile Brennstoffe nutzen und gleichzeitig von ärmeren Ländern verlangen, direktere Dekarbonisierungspfade zu verfolgen. Gleichzeitig ermöglicht CCS in der Praxis das, was als „moralisches Risiko“ bezeichnet wird – die Fortsetzung umweltschädlicher Praktiken unter dem Deckmantel technologischer Lösungen. Dies könnte die dringend benötigte systemische Transformation zu erneuerbaren Energien und nachhaltigen Praktiken verzögern. Northern Lights steht beispielhaft für die Spannung zwischen technologischer Innovation und Pfadabhängigkeit. Einerseits zeigt das Projekt beeindruckende ingenieurstechnische Leistungen und könnte den Grundstein für eine neue Industrie legen. Andererseits bindet es enorme Ressourcen in eine Technologie, die möglicherweise durch direktere Lösungen überholt wird. Die Gefahr besteht darin, dass die hohen Vorabinvestitionen in CCS-Infrastruktur zu einem „Sunk-Cost-Fallacy“ führen – der irrationalen Fortsetzung einer Strategie aufgrund bereits getätigter Investitionen, anstatt auf bessere Alternativen umzusteigen. Die Klimanotlage der Welt erfordert sofortige und dramatische Reduzierungen der Treibhausgasemissionen, die nur mit einer erheblichen Investition öffentlicher Ressourcen in bewährte Schadensbegrenzungsmaßnahmen möglich sind, beginnend mit der Eliminierung des Einsatzes fossiler Brennstoffe und der Beendigung der Entwaldung.

CCS-Technologien sind nicht nur unnötig für die schnelle Transformation, die erforderlich ist, um die Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten, sie verzögern auch diese Transformation und bieten der fossilen Brennstoffindustrie eine Lizenz zur weiteren Verschmutzung. Die unerwiesene Skalierbarkeit von CCS-Technologien und ihre unerschwinglichen Kosten bedeuten, dass sie keine bedeutende Rolle bei der schnellen Reduktion globaler Emissionen spielen können, die notwendig ist, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen.

Zwischen Vision und Realität

Unsere umfassende Recherche vor Ort zeigt ein Projekt, das zwischen Vision und Wette schwebt. Auf den ersten Blick wirkt Northern Lights wie ein Triumph der Ingenieurskunst, ein stilles Monument des europäischen Willens, den Klimawandel zu bekämpfen. Die technische Exzellenz ist unbestreitbar: Von den mit Rotorsegeln ausgestatteten Transportschiffen über die 100 Kilometer lange Unterwasser-Pipeline bis hin zur präzisen geologischen Charakterisierung des 2.600 Meter tiefen Speicherreservoirs im Johansen-Formation setzt das Projekt neue Maßstäbe in einer aufstrebenden Industrie. Auf den zweiten Blick jedoch offenbart sich ein milliardenschweres Risiko, das ohne dauerhafte politische Unterstützung und eine Zahlungsbereitschaft der Industrie, die weit über marktübliche Preise hinausgeht, kaum bestehen kann. Die Kostenanalyse ist ernüchternd: Selbst unter optimalen Bedingungen – hochreine CO₂-Ströme wie bei Yara, direkte Wasserlage ohne Durchquerung dichter Siedlungsgebiete, massive staatliche Subventionen von der Erfassung bis zur Speicherung – liegen die Preise zwischen 107 und 207 Euro pro Tonne, weit über den aktuellen EU-Zertifikatspreisen von 70 Euro.

Die wissenschaftliche Evidenz ist gemischt, aber überwiegend skeptisch. Während die geologische Speicherkapazität der Nordsee mit 440 Milliarden Tonnen theoretisch jahrhundertelang europäische Emissionen aufnehmen könnte, zeigen Machbarkeitsstudien, dass nur 10% der 1,5°C-kompatiblen Klimaszenarien realistische CCS-Kapazitäten für 2040 aufweisen. Die historische Bilanz ist noch ernüchternder: Trotz jahrzehntelanger Entwicklung und Milliarden an Subventionen hat kein einziges CCS-Projekt weltweit seine angestrebten Erfassungsraten erreicht.

Die Übertragbarkeit auf andere Regionen bleibt fundamental begrenzt. Während viele europäische Länder über geologische Speicherpotenziale verfügen – Deutschland allein mit 71 identifizierten Standorten und bis zu 12,2 Milliarden Tonnen Kapazität im Buntsandstein – fehlen meist die günstigen Rahmenbedingungen Norwegens. Südeuropäische Länder würden schnell an Kapazitätsgrenzen stoßen, mit nur 23-100 Jahren theoretischer Kapazität in Norditalien trotz Adria-Speichern. Die Sicherheitsrisiken sind real und ungelöst. Der Satartia-Unfall von 2020 mit 45 Krankenhauseinweisungen nach einem CO₂-Pipeline-Bruch zeigt die Gefahren für dicht besiedelte europäische Gebiete auf. Gleichzeitig verschärft CCS lokale Umweltprobleme, da die Technologie 15-25% mehr Energie benötigt und damit sowohl die Luftverschmutzung als auch den Wasserverbrauch erhöht.

Dennoch könnte Northern Lights für bestimmte Industriezweige eine notwendige Brückentechnologie darstellen. Für Zementwerke wie das von Heidelberg Materials in Brevik, Düngemittelproduzenten wie Yara und andere „schwer vermeidbare“ Emissionsquellen bietet das Projekt einen Pfad zur Dekarbonisierung – wenn auch einen teuren und unsicheren. Die grenzüberschreitende Dimension mit Kunden aus fünf Ländern macht es zu einem wichtigen Testfall für europäische Klimakooperation. Die Ironie liegt darin, dass Northern Lights möglicherweise durch direktere Lösungen überholt wird, bevor es sich als wirtschaftlich rentabel etabliert hat. Innovative Ansätze wie die elektrochemische Zementherstellung von Sublime Systems oder die rasanten Kostensenkungen bei erneuerbaren Energien könnten CCS überflüssig machen. Die hohen Vorabinvestitionen in CCS-Infrastruktur bergen das Risiko einer „Stranded Assets“-Situation. Sollte Northern Lights gelingen und sich als kosteneffiziente, sichere Lösung etablieren, könnte Norwegen tatsächlich zur Drehscheibe der europäischen CO₂-Wirtschaft werden und ein neues Geschäftsmodell für die Post-Öl-Ära entwickeln. Die Phase-2-Erweiterung auf 5 Millionen Tonnen jährlich mit Investitionen von 7,5 Milliarden NOK und die bereits vollständig ausgebuchte Phase 1 deuten darauf hin, dass zumindest die unmittelbare Nachfrage vorhanden ist. Equinors Ambition, bis 2035 25% des europäischen CCS-Marktes zu erobern, zeigt das kommerzielle Potenzial auf.

Scheitert es jedoch – an technischen Problemen, exponentiell steigenden Kosten, politischen Wendungen oder öffentlichem Widerstand gegen die Infrastruktur – bleibt Øygarden ein kostspieliges Mahnmal dafür, wie ungewiss die Hoffnung auf technologische Klimalösungen sein kann. In einem Klima-Notstand, der sofortige und drastische Emissionsreduktionen erfordert, könnte sich Northern Lights als teure Ablenkung von den bewährten und kostengünstigeren Lösungen erweisen: dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien, der Elektrifizierung der Wirtschaft und der systemischen Transformation unserer Energiesysteme. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Northern Lights wird weder die erhoffte Klima-Revolution noch ein komplettes Scheitern werden. Es wird vielmehr ein weiteres, kostspieliges Puzzleteil in dem komplexen, vielschichtigen Prozess der Dekarbonisierung sein – technisch brillant, politisch gewollt, wirtschaftlich fragwürdig und klimatisch unzureichend. Die entscheidende Frage ist nicht, ob CCS funktioniert, sondern ob Europa es sich leisten kann, Milliarden in diese teure und unsichere Technologie zu investieren, während bewährtere, kostengünstigere und skalierbarere Alternativen zur Verfügung stehen.

Am Ende steht Northern Lights als Symbol für die Ambivalenz der europäischen Klimapolitik: technologisch beeindruckend, aber möglicherweise ein teurer Umweg auf dem Pfad zur Klimaneutralität. Ein Projekt, das Europas Zukunft vergraben könnte – im positiven wie im negativen Sinne. Die Antwort wird sich in den kommenden Jahren zeigen, wenn die ersten CO₂-Ladungen in den norwegischen Gewässern versenkt werden und die Welt zusieht, ob aus dieser Vision Realität oder aus dieser Wette ein kostspieliger Irrtum wird.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Diesen Bericht mussye ich mehrmals lesen, da er sehr komplex ist.

Ich sehe vor allem das Sicherheitsrisiko.

Wir sehen heute schon die Verletzbarkeit von Unterseekabeln.

In einer Wekt in der Angriffe wahrscheinlicher sind, als Frieden, sind solche Anlagen, Pipelines und Lagerstätten hoch risikoreiche Angriffspunkte.
Mit großer zerstörerischer Wirkung für Mensch und Tier.

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