Trump gegen Radio Liberty – Warum Europa nun das Erbe der freien Presse retten muss.
Es ist eine jener Geschichten, bei denen sich historische Ironie und politische Realität schmerzhaft überlappen. Radio Free Europe/Radio Liberty – einst gegründet im Kampf gegen sowjetische Propaganda – ist heute selbst zum Opfer autoritärer Willkür geworden. Nicht in Moskau, sondern in Washington. Genauer: im Weißen Haus unter Donald Trump.
Denn während die Redaktion des traditionsreichen Auslandssenders Tag für Tag versucht, unabhängige Informationen nach Russland, den Iran oder Usbekistan zu bringen, dreht ihr eigener Geldhahn zu. 75 Millionen US-Dollar hatte der Kongress für das laufende Haushaltsjahr bereits bewilligt. Doch die Trump-Regierung hält das Geld zurück – ohne Begründung, ohne Transparenz, ohne Respekt vor demokratischer Kontrolle.
Was als fiskalischer Vorwand daherkommt – man müsse „kürzen“ – entpuppt sich schnell als ideologische Agenda. Kari Lake, Trumps einflussreiche Beraterin, hat die Senderfamilie um Radio Liberty öffentlich als „anti-amerikanisch“ diffamiert. Sie ließ über 500 Mitarbeiter:innen bei Voice of America und deren Dachorganisation entlassen. Verträge wurden annulliert, Auslandsbüros geschlossen, Stimmen zum Schweigen gebracht.
Nun springen ausgerechnet jene ein, denen die Sender ursprünglich helfen sollten: die Europäer. Die EU stellte vergangene Woche sechs Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung. Schwedens Zusage über weitere zwei Millionen ist angekündigt. Es ist nicht nur ein symbolischer Akt der Solidarität, sondern ein Eingreifen in letzter Minute. Denn Dutzende Redaktionen standen bereits vor dem Aus, Verträge wurden auf Eis gelegt, Programme gekürzt, Journalist:innen in Zwangsurlaub geschickt.
Steve Capus, Präsident von Radio Free Europe/Radio Liberty, sprach in Brüssel von einer „Rettungsaktion in der Not“. Der Sender sei weiterhin „existentiell bedroht“, solange Washington das bewilligte Geld nicht freigibt. Noch am Montag musste Capus erneut vor Gericht ziehen: eine einstweilige Verfügung soll die Auszahlung des Mai-Budgets erzwingen. Ein föderaler Richter hatte die Regierung bereits im April gezwungen, 12 Millionen Dollar nachzuzahlen – doch von Rechtssicherheit ist keine Rede mehr.
Kaja Kallas, die EU-Außenbeauftragte, bringt es auf den Punkt: Die Rettung sei eine „kurzfristige Notfallmaßnahme zur Sicherung unabhängiger Berichterstattung“. Doch die tiefere Frage bleibt: Warum muss Europa aushelfen, wenn ein amerikanischer Präsident sein eigenes öffentlich-rechtliches Auslandssendernetz demontiert?
Die Antwort liegt in der Struktur. Radio Liberty war stets ein Instrument amerikanischer Public Diplomacy. Doch die politische Polarisierung der USA, die Verachtung Trumps für kritischen Journalismus, und die ideologische Radikalisierung seiner Administration machen deutlich: Diese Struktur ist nicht mehr belastbar. Wer nur durch Gnade der Exekutive existiert, ist nicht frei – sondern gefährdet.
Rick Stengel, einst Staatssekretär unter Obama, brachte deshalb eine neue Idee ins Spiel: ein transatlantisches Finanzierungsmodell. RFE/RL, getragen von EU-Staaten und den USA, könnte so gegen innenpolitische Angriffe geschützt werden. „Es war einst ein Nachkriegsprojekt, um den sowjetischen Schatten zu bekämpfen“, sagt Stengel. „Nun ist es Zeit für eine Neuauflage – als gemeinsame Verteidigung der freien Presse.“
Denn was auf dem Spiel steht, ist mehr als ein Sendernetz. Es ist ein symbolisches Bollwerk gegen die Logik der Lüge. Gegen die Ideologie der Gleichgültigkeit. Und gegen eine neue Generation autoritärer Führer – die ihre Macht nicht durch Argumente, sondern durch die systematische Zerstörung von Öffentlichkeit sichern wollen.
Dass diese Bedrohung heute aus Washington selbst kommt, zeigt: Die Verteidigung der Wahrheit ist längst keine geopolitische Frage mehr. Sie ist eine zivilisatorische. Und sie beginnt – mit einem Radiosender.