Die Ironie der Demokratie

VonRainer Hofmann

Mai 8, 2025

AfD und die Stille des Verfassungsschutzes

Es sind manchmal gerade die leisen Ereignisse, die mit besonders lautem Echo nachhallen. So auch jene Entscheidung, mit der das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) jüngst die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ vorerst auf Eis legte. Eine „Stillhaltezusage“ nennt man das, ein behördlicher Begriff, der in seiner harmlosen Bürokratie verschleiert, wie brisant die Entscheidung in Wirklichkeit ist. Eine Behörde schweigt, um keinen Schaden anzurichten, und setzt damit ausgerechnet jene Partei ins Recht, die der demokratischen Ordnung kritisch gegenübersteht.

Die AfD, die ihren Sieg feiert, tut dies in erwarteter Weise. Sie spricht von einer „Entlastung“, als wäre bereits ein Urteil gefallen, das sie aller Vorwürfe freispricht. Ihre Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel bemühen dabei erneut die Rhetorik des Opfers, der unrechtmäßig Verfolgten. Doch die Realität hinter diesem juristischen Schachzug ist komplexer, vielschichtiger – und beunruhigender.

Es ist ein Dilemma, das tief im Herzen der Demokratie schlummert: Der Rechtsstaat schützt auch jene, die ihn ablehnen oder zumindest in Zweifel ziehen. Die AfD nutzt eben jene Mechanismen der Freiheit und Rechtssicherheit, gegen die sie oft polemisiert. Sie profitiert von genau jener liberalen, demokratischen Rechtsordnung, deren Prinzipien von vielen ihrer Mitglieder regelmäßig infrage gestellt werden. Ein paradoxes Schauspiel, dessen Tragikomik nur in einer Demokratie möglich ist.

Der Verfassungsschutz schweigt nun also, nicht etwa, weil er seine Position geändert hätte, sondern weil er die Konsequenzen einer solchen Einstufung fürchtet. Konsequenzen, die gravierend sind, die das politische Klima weiter vergiften könnten, wenn sie voreilig vollzogen werden. Doch gerade in diesem Schweigen liegt das Unbehagen, das tiefere Problem. Ein Staat, der aus Vorsicht schweigt, ein Nachrichtendienst, der sich aus taktischer Klugheit selbst knebelt – all das wirft Fragen auf, unangenehme Fragen über die Wehrhaftigkeit und Klarheit einer Demokratie.

Denn letztlich geht es hier nicht allein um juristische Spitzfindigkeiten oder taktische Zurückhaltung. Es geht um die grundlegende Frage, ob eine Demokratie dauerhaft bestehen kann, wenn sie sich beständig gegen ihre inneren Feinde verteidigen muss. Wenn sie die Extremisten schützen muss, um ihre eigenen Prinzipien nicht zu verraten. Das ist die düstere Ironie dieser Situation: Die Freiheit schützt jene, die ihr gegenüber feindselig gesinnt sind.

Natürlich ist es richtig, dass solche Entscheidungen nicht voreilig getroffen werden dürfen. Demokratie bedeutet auch, Geduld zu haben mit jenen, deren Ansichten man ablehnt. Doch das Risiko bleibt bestehen. Das Risiko, dass aus Geduld Nachsicht wird, und aus Nachsicht am Ende Ohnmacht. Denn während das BfV schweigt, bleibt das Gift der politischen Radikalisierung in den Köpfen der Menschen präsent.

Und doch ist diese Situation, so bedrückend sie erscheinen mag, auch ein Zeichen der Stärke der Demokratie. Sie kann dieses Paradox ertragen, sie muss es sogar ertragen. Sie kann es ertragen, dass ihre Feinde von ihr geschützt werden, solange das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Genau darin liegt ihr tragisches Wesen: Sie muss dulden, um glaubwürdig zu bleiben.

Die Entscheidung des Verfassungsschutzes, vorerst zu schweigen, ist also nicht nur ein juristischer Vorgang. Sie ist ein Moment der Selbstreflexion. Ein Augenblick, in dem eine Demokratie innehalten muss, um zu begreifen, wie verletzlich und zugleich unverwüstlich sie doch ist. Ein Augenblick, der zeigt, dass Freiheit niemals selbstverständlich sein kann, weil sie ständig neu verteidigt werden muss – oft gerade gegen jene, die lautstark behaupten, sie am vehementesten zu vertreten.

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